Was passiert mit unserem Land, wenn die Ausbildung relevanter Zukunfts-Skills in den Händen einzelner Lehrer, Unternehmer, Eltern liegt? Ich spreche mit Christina Schwarzer, CDU-Politikerin und Mitglied des Deutschen Bundestages.

Christina Schwarzer (39) hat einen interessanten Job. Die CDU-Politikerin ist Mitglied des Bundestages für Berlin-Neukölln, arbeitet unter anderem im Ausschuss „Digitale Agenda“, einer ihrer Schwerpunkte ist die Verbesserung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Interessant ist ihr Job, weil 15,2 Prozent der Neuköllner arbeitslos sind – die höchste Quote innerhalb Berlins (ganz Berlin: rund zehn, Deutschland etwa sechs Prozent). Gleichzeitig ist die Hauptstadt die Nummer 1 der Gründerszene – rund ein Drittel der Startups startet hier. Startups, die sich meist um ein digitales Produkt drehen.
Christina Schwarzer, schreien diese Zahlen nicht nach einer digitalen Ausbildung für alle – vor allem in Ihrem Wahlkreis? Absolut. Wobei das zwei verschiedene Gruppen sind. Die Leute, die gerade in Berlin Startups gründen, sind zum großen Teil keine Absolventen aus Berlin. Sondern Menschen von außerhalb, die Berlin so spannend finden. Und: Das Problem gilt nicht nur für Berlin. Ganz Deutschland verschläft gerade die Zukunft.
In einem Beitrag in der Huffington Post schrieben Sie jüngst, dass ein ganzheitlicher und nachhaltiger Plan für die Digitale Bildung fehlt. Wie könnte dieser denn aussehen? Aktuell steht und fällt das Glück unserer Kinder mit dem Engagement einzelner Lehrer, Eltern, Unternehmer. Das kann nicht sein. Deswegen sollten wir – wie England oder Estland – ein verpflichtendes Schulfach einrichten: Medienkunde. Und das ab der ersten Klasse. Ein Fach, in dem man nicht nur die Risiken des Internets kennenlernt, sondern auch die Chancen. Also das Lernen über Medien und das Lernen mit Medien.
Digitale Skills sind so wichtig wie Englisch oder Mathe. Vielleicht sogar noch wichtiger.
Wenn sich nur einzelne um die Ausbildung dieser zukunftsrelevanten Skills kümmern – steuert Deutschland dann auf einen tiefen Graben zwischen digital Gebildeten und Ungebildeten zu? Definitiv – und das bereits jetzt. Wenn ich Besucher im Bundestag habe, dann frage ich die Älteren: „Wer hat Enkelkinder? Wissen sie, was diese im Internet machen? Und wer bringt ihnen das eigentlich bei?“ Dann sagen die: Die bringen sich das selbst bei. „Und ist das gut oder schlecht?“ Dann schweigen alle.
Welche Auswirkungen könnten nicht-digitale Bildungsghettos haben? Einige werden in Zukunft durchs Raster fallen, weil sie zum Beispiel nicht programmieren können. So ensteht eine Mehrklassengesellschaft. Es ist dann Schicksal oder Zufall, wer in Zukunft mitmischen kann. Und wenn der kleine Klaus das nicht gelernt hat, aber der kleine Ahmed schon – dann hat Ahmed eben Glück gehabt. Und das kann doch nicht sein. Digitale Skills sind so wichtig wie Englisch oder Mathe. Vielleicht sogar noch wichtiger.
Was macht ein mögliches digitales Kastensystem mit Deutschland? Das Land selbst merkt das gar nicht. Es ist ein Feinschmecker-Thema, mit dem sich nur wenige beschäftigen. Dabei glaube ich, dass der aktuelle und zukünftige Wettbewerb unter den Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt extrem zu Ungunsten der deutschen ist. Wenn ihr Sohn nun irgendwann studieren will – dann muss er sich nicht nur mit dem bayerischen Jugendlichen messen, sondern auch mit dem Kind aus Estland oder England. Hat ihr Kind Relevantes für die digitale Zukunft gelernt? Nein? Pech gehabt.
Unser Ausschuss „Digitale Agenda“ wird von manchen Kollegen noch immer belächelt.
Nicola Beer (FDP) hat jüngst ein Millardenprogramm für digitale Bildung als beste Sozialausgabe bezeichnet. Woran liegt es, dass unsere Kinder an Schulen nicht schon längst ein Digitalfach besuchen? Wussten Sie, dass der Verleger Hubert Burda das bereits 2005 gefordert hat? Die Politik hat vielleicht gedacht, dass der Kelch an ihr vorüber geht – und das tut sie zum Teil noch heute. Unser Ausschuss Digitale Agenda wird von manchen Kollegen noch immer belächelt. „Was macht ihr denn da?“
Und was antworten Sie? Ich lächle zurück – und frage, wie die Digitalisierung in unserem Land vorankommen soll, wenn selbst manche Politiker nicht hinter diesem Thema stehen.
Eine These: Die Digitale Transformation hat ein Image-Problem, weil sich die meisten unter dem Begriff nichts vorstellen können. Was ist ihr Lieblingsbeispiel für diese Veränderung? Wie bringe ich meine Klamotten zur Reinigung, wenn ich jeden Abend gegen 22 Uhr nach Hause komme? Über ein Unternehmen, dass ihren Service via App anbietet. Die holen meine Kleidung ab – und bringen sie mir 24 Stunden später wieder. Die Kleidung wäscht die Reinigung immer noch. Aber das Drumherum ist digital.
Vielleicht muss die Kanzlerin ein Machtwort sprechen.
Aktuell läuft eine Petition in den USA, in der namhafte Wirtschaftsgrößen wie das Ehepaar Gates für alle öffentlichen Schulen das Fach „Computerwissenschaft“ fordern. Was muss geschehen, damit etwas Vergleichbares in Deutschland passiert? Viele Parteien haben es bereits gefordert. Aber wir im Bundestag können ja nicht verabschieden, das Fach Medienkunde ab Klasse X einzuführen. Da muss jedes einzelne Bundesland den Knall hören. Ich weiß nicht, was dazu noch passieren muss. Vielleicht muss die Kanzlerin nochmal ein Machtwort sprechen. Oder der Bundespräsident. Allerdings: Wenn etwas von oben herab diktiert wird, dann ist die Bereitschaft gering – die Schulen und Landesregierungen müssen das selbst erkennen.
Auf der Webseite des bayerischen Kultusministeriums steht: „Medienbildung ist als fächerübergreifendes Bildungsziel in den Lehrplänen aller Schularten verankert.“ Für alle Schulen dort existiert dafür die Lehr-Plattform Mebis – warum ist das ein Ansatz, der zu kurz springt? Weil es zu wenig ist. Der Grund dafür: Viele wissen nicht, was in einem ganzen Schulfach Medienkunde geschehen soll.
Was könnten denn die Inhalte sein? Programmieren auf jeden Fall. Dazu zum Beispiel Datensicherheit – aber nicht an einem Tag mit zwei Polizisten, die dann sagen, wie man im Netz belästigt wird. Das finde ich bei Schülern total unangemessen. Klar, Cyber-Grooming und Sexting zu kennen, das gehört dazu. Aber ich würde mir wünschen, dass die Chancen der neuen Technologien im Vordergrund stehen. Und dass die Kinder eigene Programme schreiben, eigene Apps entwickeln, eigene Filme drehen. Wie das die Unternehmerin Verena Pausder forderte. Im Rahmen eines Referats zum Beispiel – dreht doch einen Film. Und lernt so, wie die Video- und Schnittprogramme funktionieren.
Noch eine These: Jedes Kind sollte ein journalistisches Grundhandwerk lernen. Schließlich agieren sie im Netz alle als Sender: Urheberrecht, Quellenprüfung – bis zur Frage, welcher Text zu was für einem Bild eine sinnvolle Ergänzung ist. Sehe ich auch so. 2014 hat das European Schoolnet die Broschüre und Test „The web we want“ veröffentlicht – hier lernen die Kinder so etwas. Und zwar von Jugendlichen für Jugendliche. Damit füllt man zwei Stunden, kein ganzes Fach. Aber: Für Lehrer ist sie gut, um einen ersten Einblick zu bekommen und zu vermitteln. Also habe ich in meinem Wahlkreis alle Schulen angeschrieben – und gesagt: „Hey, super Broschüre, finde ich gut, ich lege euch mal zwei bei. Wenn ihr für weitere Klassen noch mehr haben wollt, gebt mir Bescheid.“ Raten Sie mal, wie viele Schulen sich daraufhin gemeldet haben.
Keine? Keine.

Mein jüngerer Sohn sollte für ein Referat jüngst eine bedruckte Folie für den Klassen-Overhead-Projektor mitbringen. Der gleichaltrige Sohn meines Bekannten aus Hongkong erledigt das via Powerpoint. Warum haben Sie dennoch Hoffnung, dass Deutschland im internationalen Vergleich digital nicht absäuft? Ihr Beispiel zeigt, dass wir den Anschluss verlieren, wenn wir nicht schnell etwas ändern. Ich hoffe, dass schnell etwas passiert – positiver kann ich das ehrlicherweise nicht sehen. Denken wir an die Zukunft: Ihr Sohn und der Junge aus Hongkong bewerben sich in ein paar Jahren auf einen Ausbildungsplatz in Berlin. Sagen wir: In einem Startup – und es geht um ein digitales Produkt. Wer wird da wohl eher genommen werden?
Hmm. Die Wissensgrundausstattung ist weltweit unfair verteilt. Das ist schade für unsere Kinder. Powerpoint braucht ihr Sohn doch in Zukunft in jedem Fall. Warum also lehren wir die Dinge des zukünftigen täglichen Lebens nicht in der Schule?
Danke, danke, danke für diesen wunderbaren Artikel! Endlich spricht mal jemand meine Sprache in dieser Thematik! Beim Durchstöbern des Blogs fand ich noch viele weitere tolle Posts, die bei mir zustimmendes Nicken hervorrufen. Für ein anstehendes Gespräch in der Schule bietet mir als Mutter zweier Medien firmer Teenies dieser Blog anregende Argumentationshilfen. Bravo! Teile ich nur zu gern auf einigen Kanälen – wir sind ja schließlich digital…
Liebe Stephie, und Dir danke für diesen motivierenden Kommentar. Was mich interessiert: Gegen oder für was argumentierst Du in der Schule Deiner Teenies? Mit den besten Grüßen, Maximilian
Hallo Maximilian,
meine Kinder besuchen eine Privatschule, die bereits in der dritten Klasse Computerkurse anbot. Seitdem kann unser Sohn PowerPoint unterstützte Referate halten. Es gibt in der Schule sogar in allen Räumen mit dem Internet verbundene Whiteboards, die rege im Unterricht genutzt werden. Es kann mal schnell ein Film zum Thema angeschaut werden, das Tafelbild kann per Email gesendet oder für alle ausgedruckt werden etc. Technik ist also vorhanden. Allerdings fehlen Lehrkräfte, wodurch es inzwischen diese Computer-Kurse nicht mehr gibt.
Und nun – in der neunten Klasse – begegnen wir einem Lehrer, der PP-Präsentationen bei Referaten UNTERSAGT. Hallo??? Die Schüler sollen jetzt wieder zurück in die siebziger Jahre, in denen Plakate gemalt werden! Begründung: Es dürfe nicht vorausgesetzt werden, dass allen Schülern zu Hause ein Computer zur Verfügung steht, um Präsentationen zu erstellen. Man möchte also kein Kind bevorzugen. Außerdem käme es immer wieder dazu, dass Schüler den USB-Stick vergessen. Für mich ist das ein Rückschritt, der keinesfalls zugelassen werden darf.
Natürlich kann ich meinen Kindern selbst einiges beibringen im Umgang mit Internet, Software & co. Doch es ist traurig, dass die Schule dieses Wissen nicht unterstützt. Viel besser wäre es doch, wenn Kinder, die fit in diesen Dingen sind, anderen zeigen können, was mit sinnvoller Mediennutzung machbar ist!
Mein Sinn für Gemeinschaftswohl bäumt sich hier auf und schreit: „Hier wird Bildung in sowieso bildungsnahen Haushalten belassen und alle anderen bleiben vor der Tür. Schule darf sich da nicht heraushalten!“ Ich sehe da hauptsächlich die Politik gefordert, endlich Lehrer dafür zu schulen und einzustellen. Den Englischunterricht ab Klasse 1 gibt es doch inzwischen auch!
Da unsere Kinder zu einer privaten Schule gehen, hat die Schulleitung hier einen erweiterten Handlungsspielraum über die vom Schulministerium geforderten hinausgehenden Unterrichtsinhalte. Daher sehe ich mich gerade als Eltern-Mitglied des Schulbeirats in der Pflicht, die Schulleitung anzustoßen, Medienunterricht einzuführen – und zwar bereits ab Klasse 5!
In Deinem Blog fand ich dazu Artikel, die meine Argumentation sehr schön unterstützen können. Inzwischen habe ich diesen Post schon an Eltern weiter geleitet, die möglicherweise einen solchen Unterricht in ehrenamtlicher Tätigkeit durchführen können. Ich ziehe gerade einige „Strippen“, um da zumindest für unsere Schule etwas auf die Beine zu stellen. Dank Deines Posts habe ich bei diesem Projekt nochmal neuen Schwung bekommen.
Vielen Dank dafür! Liebe Grüße, Stephie
Liebe Stephie,
Bei Schülern einer Privatschule?
Maximilian
An der Schule gibt es vereinzelt auch Schüler, deren Eltern die Finanzierung des Schulgeldes nicht so leicht fällt. Diese Schule hat also nicht nur Unternehmerkinder ;-) Dennoch glaube ich es nicht wirklich, dass es auch nur einen einzigen Schüler gibt, der KEINEN Zugang zu einem PC hat. Genau dazu starte ich gerade eine Umfrage – als ersten Schritt für mein Projekt.
… Eine weitere Idee ist, Unternehmen anzusprechen, ob sie Computer stiften für das Projekt „Medienunterricht für alle!“.
Damit meinte ich nicht die Eltern, sondern die Schule: Gibt es denn an dieser keine Rechner?
Leider nicht für alle Schüler. Es können 3 – 4 Schüler an einen PC, soweit ich weiß. Einzelplätze sind leider auch an öffentlichen Schulen selten gegeben, wie ich aus Elternkreisen weiß.
Aber Smartphones haben alle, nehme ich an? Warum dann nicht Präsentationen auf diesem mobilen Computer vorbereiten und damit halten?
Habe das hier eben noch gefunden. Sicherlich Wasser auf Deine Mühlen: http://www.egovernment-computing.de/digitale-schule-in-der-warteschleife-a-532551/