Verena Pausder: „Mutet Kindern Frust zu!“

Was antwortet eine der bekanntesten Digital-Unternehmerin Berlins auf die Frage, was heutige Kinder in Zukunft können sollten? „Programmieren, Geschichten erzählen, unternehmerisch denken.“ Und die Fähigkeit, nach Niederschlägen aufzustehen.

Wirkung von Game-Elementen kennen – warum ist das wichtig? “Weil wir so Motivationsforschung in Unternehmen tragen”, sagt Mario Herger (Foto: Kim Keibel)
Wie bringen wir Kinder Widerstandsfähigkeit bei, Verena Pausder? „Grenzen setzen. Und sie nicht immer in Watte packen.“ (Foto: Kim Keibel)

Verena Pausders Themen als Unternehmerin drehen sich um Nachwuchs und Digitales: Sie vertreibt Apps (Fox and Sheep), entwickelt Klassenzimmer für digitales Experimentieren (Digitalwerkstatt) oder co-startet ein Programm, das Teenager an Unternehmertum heranführt (Startup-Teens). „Alles, was mich interessiert – Zukunft, Digitales, Bildung, Kinder –, kann ich hier verwirklichen“, erzählt die 37-Jährige der Zeit. In Ihrer Kolumne bei der Wirtschaftswoche erörtert sie, warum unsere Kinder dringend einen neuen Lehrplan benötigen. Und auf Ihrem Blog beschreibt sie sich selbst unter anderem als „schlagfertig, euphorisch“ und:  „unternehmerisch“.

Was werden Deine Kinder 2036 als das Wichtigste bezeichnen, was Du ihnen auf den Berufsweg mitgegeben hast? Dass sie programmieren können. In der Digitalwerkstatt in Berlin spielen auch meine Söhne (sechs und acht Jahre) mit Code, 3D-Druck und Robotik. Ich habe mich gefragt: Warum bringen wir Kindern die digitale Welt nicht so näher, dass sie damit selbst kreativ und aktiv werden? Das tue ich – in der Hoffnung, dass sie Spaß daran haben. Und dass sie irgendwann sagen: Mensch, da war Mami aber weitsichtig.

Und außer Programmieren – was ist übermorgen noch relevant?
Ich glaube, dass Geschichtenerzählen eine der Kompetenzen wird. Zum Beispiel, um Produkte zu schaffen, die jenseits ihrer Funktion auch eine Geschichte vermitteln. Denk‘ an Crowdfunding: Dort kaufe ich das Produkt nicht nur wegen der tollen Funktion, sondern wegen der Erlebnisse, die ich damit haben werden. Und wegen der Geschichten der Menschen, die dahinter stehen.

Wir sollten unseren Kindern möglichst früh vermitteln, wie Geschichten funktionieren? Wir sollten Geschichten am Leben halten. Meine Kindheit war voll davon – die habe ich gelesen, die haben mir meine Eltern und Großeltern erzählt. Ich habe den Eindruck, dass Kindern heute weniger Freiraum gegeben wird, ihr eigene Fantasie zu entwickeln. Und diese Zeit eher durch Geräte ausgetauscht wird.

Lasst uns Kindern fotografieren und filmen beibringen, sie das Erzählen damit üben.

Zukunftsfähigkeit fördern, indem wir Kinder von Geräten fernhalten? Im Gegenteil. Mit was erzählen Kinder in Zukunft Geschichten? Foto-, Videokamera, irgendwann Virtual Reality. Also lasst uns Kindern diese Tools beibringen, sie das Erzählen damit üben. Weil wir mit dem Buch aufgewachsen sind, sollten wir da nicht stehen bleiben.

Der Philosoph David Precht prognostiziert, dass über 60 Prozent der künftigen Berufe heute noch nicht existieren. Gehöre ich mit den Skills Programmieren und Geschichtenerzählen sicherer zum arbeitenden Teil der zukünftigen Gesellschaft? Soweit würde ich nicht gehen. Dafür ist die Jobwelt zu divers. Nehmen wir Berufe, in denen es ums medizinische Forschen und Entwickeln geht – da glaube ich nicht, dass Programmieren die Antwort auf alles ist. Aber: Coding ist ein Teil der Standard-Ausrüstung, um überhaupt die Option auf einen dieser neuen Berufe zu haben.

Die Fähigkeit, nach Niederlagen wieder aufzustehen, gilt auch als ein Meta-Skill der Zukunft … Resilienz finde ich total wichtig. Die Welt verändert sich so schnell wie nie. Du musst fluider sein, Dich schneller anpassen. Du musst schneller in Deine Form zurückkommen, Dich nicht von Veränderungen zu sehr einschüchtern lassen.

Wie bringen wir das unseren Kindern bei? Indem wir Grenzen setzen. Indem wir sagen: Du bist wichtig, Kind. Aber um Dich dreht sich nicht das Universum. Du bist ein Teil der Gruppe, der Familie. Aber da gibt es mehr Bedürfnisse als Deine. Da werden wir Dich nicht immer in Watte packen.

Helikopter-Eltern sind spätestens an dieser Stelle aus diesem Interview ausgestiegen. Ich beobachte, dass Eltern es heute 140 Prozent gut machen wollen. Die glauben, dass das bedeutet, dem Kind keinen Frust zuzumuten. So – und dann hat das Kind keine Frustrationstoleranz: „Ich kriege doch immer, was ich will. Und wenn nicht, dann schreie ich. Und kriege es dann“. Und das ist für mich dann das Gegenteil von Resilienz. Kindern Frust zuzumuten, ist daher eine Form ihnen beizubringen, dass sich das Leben verändert – und dass sie sich daran anpassen müssen. Aber nicht schreiend.

Wenn immer alles so wird, wie Du es Dir vorgestellt hast – dann ist das nicht das echte Leben.

Du plädierst dafür, Kinder kontrolliert scheitern zu lassen? Ja. Genau. Wenn immer alles so wird, wie Du es Dir vorgestellt hast – dann ist das nicht das echte Leben.

2015 hast Du Startup-Teens mitgegründet. Warum ist unternehmerische Denke in Zukunft Allgemeinbildung? Weil wir risikoaffiner werden müssen. Ich glaube, in einer Gesellschaft, die älter wird, die weniger Kinder hat, die zu wenig Fachkräfte aus dem Ausland integriert, ist es immer mehr am Einzelnen, sein Leben selber in die Hand zu nehmen. „Der Staat wird es schon richten“ – das ist nicht der beste Plan.

Daher sollten wir alle Unternehmer werden? Nein, darum geht es nicht. Sondern um die Initialzündung „Ich nehme mein Leben selber in die Hand. Ich finde heraus, was ich kann – und was nicht. Und was ich damit werden kann.“ Ein unternehmerischer Prozess bedeutet für mich: Nicht nur gründen, sondern auch mir Gedanken machen, wer ich bin. Und was ich werden will. Nicht nur beruflich. Sondern auch als Mensch.

Wie hilft mir unternehmerische Denke dabei, mein Berufs-Ich besser zu finden?  Bei Startup-Teens fragen wir alle zunächst: Wer bist Du? Was kannst Du jenseits von Mathe oder Deutsch? Super Witze erzählen? Ein toller Schülersprecher sein? So findet jeder zu mehr Selbstbewusstsein.

Und dann? Wir fragen: Hast Du da eine Leidenschaft? Wenn „Ja“: Was ist dann eine gute Geschäftsidee? Du kannst gut tanzen, warum kein Tanzstudio? Ok, wie geht so was? Dabei muss nicht rauskommen: Ich miete den Raum und mache das Studio auf. Aber ich traue es mir zu. Und habe es mal durchdacht. Wenn wir bislang in Klassen fragen, wer sich zutraut, Unternehmer zu sein, da meldet sich einer von 100.

Warum? Zu viel Risiko, ist die erste Antwort. Die zweite: Ich habe ja keine Idee. Und die dritte: Ich glaube, ich kann das nicht. Das liegt daran, dass wir zu wenig greifbare Vorbilder haben. Dass wir es ihnen nicht beibringen. Dass wir es ihnen nicht zeigen, wie einfach das eigentlich ist. Sondern es eher nebulös halten: als der Unternehmer da oben. Und wir hier unten.

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